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Franz
 

Fiala Josef

Mein Vater Josef Fiala stammt aus ärmlichsten Verhältnissen. Der Vater Antonín war Schuster, der bis 1945 in einer Wohnungswerkstätte lebte und arbeitete. Die Mutter war Bedienerin und Stepperin. 

Man nannte ihn "Pepperl" oder "Pepíčku". Für meine Großmutter, die mit immer "per Sie" verkehrte, war er "der Fiala", also er war wenig integriert. Und diese Distanz übertrug sich auch auf andere Verwandte, die dann ebenfalls "per Sie" mit ihm waren, etwas meine Tante Milli und Hanni.

Die Fiala waren Tschechen aber sie waren bereit, alles mögliche zu sein, wenn sie dafür nur mehr aufs Brot bekommen hätten. Die vier Kinder Anton, Josef, Sťepánka/Stefanie und Ludvík/Ludwig wollten versorgt werden. 
Da die Großmutter meines Vaters, Frau Moravec der Kirche sehr nahe gestanden ist, war es nicht verwunderlich, wenn mein Vater in der Kindheit, also in den 20er Jahren Ministrant war. 

Die Jugendzeit meines Vaters, die er mit dem Gustl, dem heutigen Herrn Hradil, verbrachte, muss arm und fröhlich zugleich gewesen sein. Zum ersten Mal hörte ich auch von einer meiner Urgroßmutter, Frau Moravetz. Diese Familie wohnte an der rechten Seite der tschechischen Kirche am Rennweg. Diese Nähe zur Kirche äußerte sich auch in einer Religiosität, die auch auf meinen Vater eingewirkt hat. Er war Ministrant und in einem der katholischen Jugendorganisationen der tschechischen Minderheit. Wenn man mit meinem Vater sprach, so klang in vielen seiner Äußerungen eine innere Religiosität mit, deren Wurzel wahrscheinlich durch die damalige Nähe zur Kirche gelegt wurde.

Es ist auch interessant, dass zwar die Großeletern tschechischer Abstammung waren aber damals schon die österreichische Staatsbürgerschaft hatten. Ein Nachteil für die Söhne. Anton war bereits beim damaligen Bundesheer und wurde in Hitlers Armee übernommen, mein Vater Josef wurde unmittelbar nach Kriegsbeginn (?) eingezogen. Das war nicht bei alle Tschechen so; fast meine ich, dass es eine Ausnahme war, von der sich die armen Leute einen Vorteil erhofften. Beispielsweise waren weder meine Großeltern Kvaček, noch meine Mutter, auch nicht mein Onkel Carda österreichische Staatsbürger, da sie sich zwar als Österreicher fühlten aber eher als Großösterreicher alter Prägung, wo es nicht so wichtig war, welchem Landesteil im Detail man angehörte. Sie hatten auch wirtschaftlich keinen besonderen Nachteil dadurch, im Gegenteil meine Großmutter konnte es - auch ohne österreichische Staatsbürgerin zu sein - zu beträchtlichem Wohlstand bringen. Für die Fiala hieß es: 'mitgegangen, mitgefangen'. Mein Vater Josef: 7 Jahre Kriegsdienst, mein Onkel Anton Kriegsdienst und 'Heldentod'.

Für die Großmutter war die Zeit, in der die Kinder noch zu Hause waren, besonders schwierig, da die Ernährung kaum gesichert war. Später war sie halbtags bei einem Arzt in der unteren Ungargasse in Bedienung. Der Arzt war Jude und bewohnte eine große Wohnung in einem der 'Patrizierhäuser', wie Herr Hradil sagte. Bei Hitlers Einzug in Wien musste der Arzt die Wohnung aufgeben und emigrieren, vermachte sie jedoch schriftlich und als Dank für ihre Mitarbeit meiner Großmutter. Dass dieses Schriftstück eines Juden damals keinen Wert hatte ist heute klar, damals auch, denn die Wohnung bekam ein anderer, ein bei der Partei besser angeschriebener Parteigenosse.

Später dann war meine Großmutter bei einer Lederwarenerzeugung als Stepperin beschäftigt, was die Situation der Familie verbesserte.

Bei Kriegsende wurden das Haus der Hradil total, die Khungasse 17 und besonders die Wohnung der Fiala teilweise zerbombt. Vater Hradil übernachtete einige Nächte in Telefonzellen. 

Damals waren Staatsbürgerschaften noch nicht in der heutigen Form bekannt. Ein Wiener Tscheche war zu jenem Ort (in Böhmen, Mähren oder Slowakei) zugehörig, in dem er geboren war und hatte einen dortigen Heimatschein. Er durfte weiterhin in Wien leben, doch im Falle eines sozialen Notstandes hatte er sich an seine Heimatgemeinde und nicht an die Stadt Wien zu wenden. Meine Großeltern waren wahrlich in einem Notstand aber sich an die Heimatgemeinde zu wenden, war ihnen offenbar noch aussichtsloser als in Wien zu hungern.

Ich kenne zwei Mitschüler meines Vaters: Anežka Hradilová war eine Schülerin seiner Klasse und Gustav Hradil war sein bester Freund, der um ein Jahr älter war. Die Hradil waren vergleichsweise wohlhabend. Sie betrieben einen Milchvertrieb im 1. Bezirk. Berichtet wurde darüber, dass mein Vater die Hradil praktisch täglich am Abend im Geschäft besuchte und dort die Restmilch aus den Milchkannen austrank, weil er so hungrig war. Weitere Geschichten mit seinem Freund Gustav finden sich bei dessen Seite.

Wenn ich die Erzählungen von Gustav Hradil richtig verstanden habe, war Anežka dem Josef so gut wie versprochen. Aber das war eben vor dem Krieg.

Bemerkenswert ist der September 1934 als mein Vater die tschechische Hauptschule beendet hat (übrigens mit lauter Sehr Gut) und die Eltern einen weiteren Verdienst dringend hätten brauchen können. Mein Vater orientierte sich an seinem Freund Gustav, der die Handelsschule besuchte und statt eine Lehrstelle zu suchen, erschien er als 14-jähriger in der Handelsschule und beantragte die Aufnahme. Es ist ihm gelungen, auch ohne elterliche Zustimmung aufgenommen zu werden und er hat schließlich dieselbe Ausbildung wie sein Freund Gustav absolviert. Das war für die Familie damals eine schwierige Situation, da er als Lehrling oder anders Beschäftigter zumindest teilweise versorgt gewesen wäre, so aber den Eltern noch immer auf der Tasche lag.

Er muss die Schule 1937 oder 1938 abgeschlossen haben. Leider weiß ich nicht, ob er schon damals die Stelle beim Kartonagen-Firma Winter angetreten hat oder erst nach dem Krieg. Ob die bei diesem Link beschriebene Kartonagen-Firma Karl Winter die ist, in der mein Vater seinerzeit gearbeitet hat, werde ich versuchen, herauszufinden. Was aber sicher ist, dass eine Tochter oder Enkelin von Familie Winter im Haus Lorystraße 17 auf Tür 26/27 gewohnt hat. Das war ein reiner Zufall und da mein Vater zu dem Zeitpunkt schon verstorben war, kam es zu einen weiteren Kontakten.

Die Großeltern hätten sich als Tschechen deklarieren können, dann wären sie eben zu ihrer mährischen Heimatgemeinde zuständig gewesen. Sie haben sich aber als Wiener einbürgern lassen und damit wurden die Söhne automatisch im österreichischen Bundesheer wehrpflichtig. Wann genau diese Einbürgerung stattgefunden hat, weiß ich nicht aber der 1913 geborene Sohn Antonín konnte frühestens 1931 zum Bundesheer einberufen worden sein, es kann aber auch später gewesen sein. Mein Vater, der 1919 geboren wurde, wurde dann nicht mehr zum österreichischen Bundesheer sondern schon zur deutschen Wehrmacht einberufen.

Das hätte aber nicht sein müssen, denn Tschechen, die weiterhin mit tschechischem Heimatschein in Wien lebten, wurden nicht zum Wehrdienst einberufen, sondern wurden im Hinterland zu kriegswichtigem Dienst verpflichtet. Ein solches Beispiel war mein Onkel František/Franz Carda, der während des Krieges in einer Fabrik für Tonwarenerzeugung eingesetzt war. Er war damals 43 Jahre alt und hätte durchaus auch beim Militär dienen können, immerhin war er Fähnrich im Ersten Weltkrieg und damit sogar besonders "kriegsdienlich". 

Aber die Fiala waren eben Opportunisten und glaubten den Versprechungen von einer besseren Welt unter deutscher Führung und daher waren die Söhne im Kriegsdienst. Sohn Ludvík/Ludwig wäre eigentlich auf "fällig" gewesen, doch hatte er einen Klumpfuß und war daher vom Militärdienst befreit.

Der ältere, Antonín, kam auch tatsächlich nicht mehr zurück und hinterließ seine Braut Elisabeth (Lisl), die noch weit in die 60er Jahre fallweise bei uns zu Gast war und danach nach Tutzing in Bayern Herrn Dietl heiratete. 

Die Jahre, die mein Vater im Krieg verbracht hat, kann man an Hand von Dokumenten grob nachzeichnen. Er begann als Soldat aber durch seine Lernfreude ist er rasch aufgestiegen und war bereits zu einem Unteroffizierkurs angemeldet, zu dem es aber nicht mehr kam; der Krieg war zu Ende. Er war in der Fliegerabwehr am Rhein stationiert und von seinen Erzählungen sind mir zwei in Erinnerung geblieben: 

Mein Vater Josef war in Neuss verlobt und zwar mit Eva Stapelmann, doch diese Beziehung war nur flüchtig, die Entfernung von Wien nach Neuss war doch recht groß.

Meinem Vater imponierte der Kölner Bahnhof. Wie dort auf engstem Raum ein große Zahl von Zügen oft auf geteilten Bahnsteigen abgefertigt wird, schilderte er als logistische Meisterleistung. Ich habe schon bei der Versuchsanstalt im Arsenal gearbeitet und bin im Zuge von Dienstreisen auch nach Köln gekommen und habe mir den Bahnhof genau angeschaut und ihm über meine Erlebnisse berichtet. Danach hat er mir erst erzählt, was genau ihn mit diesem Bahnhof verbindet. Es muss im letzten Kriegsjahr gewesen sein als das Bombardement der Alliierten eingesetzt hat und mein Vater auf dem Weg nach Wien in Köln umsteigen musste. Während dieses Aufenthalts kam er zu einem Fliegerangriff. Er fühlte sich in den Katakomben des Bahnhofs unter der Gleisanlage sicher und stand bei einem der Stiegenaufgänge zu den Bahnsteigen. Ohne besonderen Grund wechselte er den Standort und ging den Gang entlang Richtung Domplatz als hinter ihm eine Bombe einschlug und zwar genau an jeder Stelle, wo er vorher gestanden war. Es ist ihm weiter nichts passiert aber schaurig muss das Erlebnis doch gewesen sein. Ob er dann in den Dom gegangen ist, hat er nicht erzählt.

Nach dem Krieg arbeitete mein Vater in der Kartonagenfirma Winter (ob auch schon vor dem Krieg, weiß ich nicht, nehme es aber fast an). Bemerkenswert ist aber die enge Bindung an diese Firma. Seine Leistung muss beim Firmenchef Winter einen außergewöhnlichen Eindruck hinterlassen haben, wie weiter hinten noch berichtet werden wird.

Die Großelterngeneration hatte noch irgendwie erlebt, dass eben Eltern die Ehepartner für die Kinder auswählen. (Für sie selbst ist aber keineswegs mehr zugetroffen, denn alle Geschwister meiner Großeltern waren sehr selbstbewusst und unabhängig.) Aber im Falle meiner Mutter war es eben so, dass es eine Bekanntschaft oder gar schon Verlobung mit Albín Kafka, einem Gärtner gab. Es gibt eine Menge (derzeit noch ungelesener Briefe), die weitere Details erzählen werden. Da mein Großvater ein Hobbygärtner war, hat er sich sicher mit Albín gut verstanden. Aber Albín war ehrgeizig und wollte mit seinen Kenntnissen ins Ausland. (Man muss bedenken, dass die Bindung vieler Tschechen, besonders jener mit nicht ortsfesten Berufen, an Wien durch die Diskriminierung während der deutschen Besatzung nicht sehr groß war. Dazu kam die hoffnungslos erscheinende Lage durch die Kriegszerstörungen. Wenn daher eine Neubeginn, dann kann man es auch unter besseren Startbedingungen versuchen.) Albíns Ziel war Kanada.

Für meine Mutter bedeutete das aber eine Zwickmühle, denn ihre Bindung an den Vater war sehr groß. Für sie wäre eine Auswanderung einem Verrat an den Eltern, insbesondere eben am geliebten Vater gewesen. 

Jetzt kommt die tschechische Gesellschaft ins Spiel. Die Tschechen in Wien waren und sind - wahrscheinlich wegen der Kleinheit der Gruppe - ein sehr geselliges Volk, das keine Gelegenheit auslässt, sich zu treffen und zu feiern. Man sieht sich immer wieder; jeder kennt jeden. Ein Dorf inmitten der großen Stadt. Natürlich kannten die heiratsfähigen Girls auch den feschen Kriegsheimkehrer Josef und dessen Bruder Ludvík/Ludwig. 

Mein Vater, ein ewiger Hungerleider, sah die Mädchen, sah aber immer auch das Paket; und er sah eine Lebensmittelhändlerin. 

Wer die Beziehung meines Vaters zum Essen kannte, hätte wissen können, dass ihn das kulinarische Umfeld der Kvaček ähnlich stark angezogen hat wie deren Tochter Martha.

So kam es dann - gegen den Widerstand meiner Kvaček-Großeltern - zu der Eheschließung zwischen Martha und Josef in der Pfarrkirche Neu-Simmering.

Anfangs wohnten die Jung-Fiala in Haus der Mutter in der Sedlitkzygasse 14/8. 

Ob die weitere Entwicklung bei der Eheschließung bereits kalkuliert wurde oder sich dann so ergab, weiß ich nicht. Jedenfalls war schon damals meine Großmutter nicht mehr im Geschäft in der Grillgasse 38 und meine Mutter führte das Geschäft. Dazu gibt es auch interessante Zeugnisse, ausgestellt von Lieferfirmen, die das Geschäft meiner Großmutter belieferten und bestätigen, dass meine Mutter schon seit ihrem 18. Lebensjahr die Abwicklung der Lieferungen geleitet hat. 

Die einschneidendste Änderung im Leben meines Vater war der Wechsel vom Vertreter in der Kartonagenfabrik Winter in das Geschäft meiner Mutter als Geschäftsführer. Immer wieder wurde im Familienkreis diese Lebensumstellung als für ihn und für die Familie schädlich angesehen.

Ernährung






Briefmarken, eine Flucht aus der Realität





Neugierde







Die Erkrankung

Mein Vater war eigentlich "pumperlg'sund", aber er war zu dick. Sogar das stark vergrößerte Herz konnte die erforderliche Pumpleistung nicht mehr erbringen und mein Vater bekam Wasser in die Beine und musste ins Krankenhaus. Dort war er einmal ziemlich verdattert darüber, mit wie wenig Nahrung man eigentlich auskommen kann. Er tat uns allen leid. Aber man hat ihm die beste Kur angedeihen lassen: kein Essen. Er kam danach nach Bad Tatzmannsdorf und er hat tatsächlich viel abgenommen. Nicht passte ihm mehr. Aber keine Angst, es hat nicht lang gedauert, und er war wieder der Alte. Bemerkenswert war aber die Zeit als "schlanker Josef". Ich täusche mich nicht, denn in dieser kurzen Zeit hat sich auch sein Wesen sehr gewandelt. Der Missmut, den er (wegen des Übergewichts) oft aufgebaut hatte ist einer gütigen Freundlichkeit gewichen. Und trotz der Erneuten Gewichtszunahme hat er viel von dieser Freundlichkeit behalten.

Ausklang







Freunde




Artefakte



Updated on Dez 21, 2013 by Franz Fiala (Version 16)